Entwurf Frühjahrssemester 2022
Turin – Alpentäler der Città Metropolitana di Torino
Die Entwurfssemester der Professur Vogt kreisen um den Alpenbogen der These folgend, dass dieser als urbaner Common Ground gelesen werden kann. Jedes Semester stellt sich die Aufgabe der Verifizierung dieser These, indem wir auf eine perialpine Metropolitanregion fokussieren und nach deren spezifischem Bezug zum alpinen Raum fragen.
Nach Milano, Lyon, Ljubljana, München, Marseille und Wien beschäftigen wir uns im Frühjahrssemester 2022 mit dem Territorium von Turin, womit die Semesterreihe «The Alps as Common Ground» seinen Abschluss findet. Dabei fokussieren wir auf die Alpentäler der «Città Metropolitana di Torino». Diese haben im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs der Stadt Turin – der mit der Entwicklung der «Fabbrica Italiana Automobili Torino» (FIAT) korreliert und bis in die 80er Jahre des 20. Jh. anhielt – einen massiven Bevölkerungsrückgang erfahren, was in vielen Gemeinden zu einem Niedergang der öffentlichen Einrichtungen und schlussendlich der Dorfgemeinschaften führte. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in den urbanisierten Raum führte zu einem Ungleichgewicht der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit zwischen den Regionen und somit zu einer Konzentration der Entwicklungen im Metropolitanraum Turin. Grosse Teile des alpinen Territoriums verloren damit an Wichtigkeit und wurden zu «Alpinen Brachen» (vergleiche: Die Schweiz – Ein städtebauliches Portrait, ETH Studio Basel). Neue Entwicklungen wie die Digitalisierung der Arbeitswelt, schnellere Verkehrsverbindungen zwischen Peripherien und Zentren, die den Bergregionen zugesprochene Lebens- und Erholungsqualität sowie bestehende alpine Ressourcen wie erneuerbare Energien, Frischwasser, mineralische Rohstoffe oder biologische Ressourcen werden jedoch zunehmend als unverzichtbare Potentiale für inneralpine Gebiete, aber auch für das ausseralpine Umland identifiziert. Gerade in Anbetracht der aktuellen Debatten zu Energieproduktion, Trinkwassersicherheit, ökologischer Vielfalt, Dichtestress in den Städten oder Klimawandel führt das zu einer Bedeutungszunahme der alpinen Regionen. Anhand expliziter Entwürfe diskutieren wir die Neubestimmung der Bedeutung und Nutzung dieser Regionen im Spannungsfeld zwischen Extensivierung und Intensivierung, mit dem Ziel eine neue produktive Beziehung mit der Metropolitanregion Turin herzustellen.
Exemplarisch werden wir diese Themen in den piemontesischen Alpentälern, insbesondere dem Susa-Tal und den Lanzo-Tälern, untersuchen. Im Susa-Tal beschäftigen uns Entwicklungen, die im Zusammenhang mit der sich im Bau befindlichen Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke zwischen Turin und Lyon und dem dazugehörigen neuen Bahnhof bei Susa zu erwarten sind. Gerade zu gegensätzlich stellt sich die Situation in den Lanzo-Tälern dar. Diese waren im Verlauf des letzten Jahrhunderts von starker Abwanderung betroffen, wodurch die über Jahrhunderte etablierte Kultur und die dazugehörige Landschaft teilweise stark gefährdet ist oder bereits verloren ging. Diese sich scheinbar komplementär entwickelnden Talschaften werfen verschiedene Fragen auf. Sollen beispielsweise gewohnte Landschaften bewahrt werden? Gibt es neue Nutzungsentwicklungen? Ist ein Rückzug des Menschen aus gewissen Gebieten denkbar? Oder sind andere Szenarien aussichtsreich? Darauf wollen wir eingehen.
Der Begriff «Process Cartograhy» bildet dabei das methodische Grundgerüst des Entwurfsunterrichtes. Ausgehend von einer komplexen Fragestellung im territorialen Massstab werden in einem ersten Schritt die grossräumlichen Beziehungen der Metropolitanregion Turin untersucht. Auf einem zweitägigen Field Trip ergänzen wir den analytischen Blick mit einer persönlichen Sicht auf den Ort. Daraus entwickeln die Studierenden jeweils ein individuelles Programm als Grundlage für ihren Entwurf. Die vorgeschlagenen Eingriffe können zwischen städtebaulichen und landschaftlichen Szenarien sowie konkreten architektonischen Vorschlägen variieren. Dieses Vorgehen trägt der Einsicht Rechnung, dass der Entwurf nicht als Endprodukt, sondern als Prozess zu verstehen ist, bei dem es darum geht die einzelnen Denkbewegungen sichtbar zu machen und aufzuzeichnen.
Schlusskritik
Dienstag 31. Mai 2022 und Mittwoch 01. Juni 2022, 08:30 Uhr – 18:00 Uhr
ETH Zürich, Hönggerberg, HIL G64 (Studio)
Gäste: Aita Flury, Raimund Rodewald, Maarit Ströbele
Mit Arbeiten von: Felix Affolter, Sophia Begun, Matthias Bisig, Annick Bächle, Maximilian Bächli, Joschua Bücheler, Laura Cella, Joel Fischer, Lisa Gärtner, Nina Hansen, Laura Kölliker, Aline Lang, Eva Meier, Manon Schaffner, Manuel Scherrer, Luca Schüpbach, Nora Stirnimann, Lennard Sundermann, Emidio Tornillo, Nina Tschuppert
Organisation
Assistenz: David Jung, Andreas Klein
Kontakt: David Jung
Entwurf V-IX: 052-1144-22L (14 KP)
Woche 1-3: Analyse (Gruppenarbeit)
Entwurf im Anschluss (Einzelarbeit)
Einführung am 22.02.22 um 10:00 Uhr im Case Studio Vogt (Stampfenbachstr. 59, 8006 Zürich).
Der Field Trip findet vom 11.03.22 bis 13.03.22 statt (Abreise: Freitagnachmittag ab Zürich HB, Rückreise: Sonntag, Zürich HB an 23:00 Uhr). Der Unkostenbeitrag beträgt 250 CHF.
Hinweis: Änderungen des Semesterprogramms aufgrund der Covid-Situation sind nicht ausgeschlossen.
Archiv
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Entwurf Frühjahrssemester 2023:
Profile der Alpen:
Landschaft, Landscape, Paysage – Talschaft -
Entwurf Herbstsemester 2022:
Profile der Alpen:
Landschaft, Landscape, Paysage – Talschaft - Entwurf Frühlingssemester 2020: Wien – perialpine und zentraleuropäische Landschaft
- Entwurf Frühlingssemester 2019: Marseille – Maritime und Alpine Landschaft
- Entwurf Herbstsemester 2017: München und Bayerische Alpen
- Entwurf Herbstsemester 2016: Ljubljana – Eine Sammlung alpiner Landschaften
- Entwurf Herbstsemester 2015: Lyon – Trois montagnes, trois rivières, trois parcs, trois échelles
- Entwurf Herbstsemester 2014: Mailand: Lungo il Lambro – Von den Alpen zum Po
- Entwurf Herbstsemester 2013: Davos – Stadt der Alpen
- Entwurf Herbstsemester 2012: Tirano – alpine Stadt im Brennpunkt dreier Talschaften
- Entwurf Herbstsemester 2011: Aosta – Alpine Stadt zwischen Industrie und Landschaft
The Alps as Common Ground
Durch den Ausbau der Erschliessungsstruktur werden die Alpen immer stärker in die urbanen Netzwerke der umliegenden Metropolen eingebunden. Dies ermöglicht einerseits die Nutzung der Alpen als metropolitane Parklandschaft und andererseits als attraktives Siedlungsgebiet, was zu einer verstärkten Ausbildung der sich heute schon abzeichnenden räumlichen Gegensätze führt: Die Nutzungsintensivierung der gut erreichbaren Alpengebiete steht dabei in zunehmendem Kontrast zur extensiveren Nutzung bis hin zur Verbrachung der übrigen alpinen Regionen. Setzt sich dieser Trend fort, wird dies im Extremfall zu einem Verlust der Alpen als eigenständigem Kultur-, Lebens- und Wirtschaftsraum führen und die Alpenrandgebiete zu reinen Ergänzungsräumen der ausseralpinen Metropolen werden lassen.
Betrachtet man die Alpen als Common Ground der umliegenden Metropolitanräume ergibt sich eine alternative Lesart respektive eröffnet sich ein Potential bezüglich der zukünftigen Entwicklung der Alpen. Unter der Annahme eines verstärkten Siedlungswachstums entlang des Alpenrandes und dessen urbaner Verdichtung würden die Alpen nicht mehr nur zu partiell zugeordneten metropolitanen Parklandschaften, sondern zur zentralen Landschaftsfigur. Liest man die Alpen als Common Ground und somit als eine von verschiedenen Nutzern beanspruchte Ressource, könnte deren Zukunft in einem gemeinschaftlich neu ausgehandelten, nachhaltigen Nutzungsverhältnis bestehen, das traditionelle landwirtschaftliche (endogene) Nutzungen mit ausseralpinen, urbanen (exogenen sowie ubiquitären) Nutzungen kombiniert und überlagert und so letztlich einen verantwortungsvollen Umgang mit der Ressource der alpinen Landschaft ermöglicht. (vgl. Werner Bätzing, «Die Alpen. Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft», München: Verlag C.H. Beck, 2005, S. 335.) So könnte eine gemeinschaftliche, zentrale Landschaft der umliegenden Metropolitanräume entstehen, die nicht auf traditionellen Bildern und Vorstellungen beharrt, sondern neue Bilder und Bedeutungen schafft und vor allem Strategien für den Umgang mit potentialarmen Räumen entwickeln muss.