Entwurf Herbstsemester 2012

Tirano – alpine Stadt im Brennpunkt dreier Talschaften

Tirano ist eine inneralpine Stadt und liegt im Veltlin, einem der grössten und bedeutendsten Täler im Norden Italiens. Dank der strategisch günstigen Lage im Brennpunkt dreier Talschaften und der Nähe zur schweizerischen und österreichischen Grenze nahm die Stadt noch bis ins 19. Jahrhundert eine Schlüsselrolle bei der Überquerung der Alpen ein.

Über die Betrachtung des Territoriums, welche die spezifischen Eigenschaften der drei Täler untersucht und offen legt, nähern wir uns der Stadt. Dabei wird kein konkretes Programm vorgegeben sondern die Entwürfe können sich in den drei Möglichkeitsfeldern Tourismus, Infrastruktur und Landwirtschaft bewegen. Dabei variiert der Eingriff zwischen grossmasstäblichen landschaftsarchitektonischen Szenarien und konkreten architektonischen Vorschlägen. Letztere beschäftigen sich beispielsweise mit dem alpinen Hotel, dem Konzept des Agriturismo oder der Umnutzung leerstehender Sanatorien.

Das Semester in Tirano steht in der Entwurfsreihe Process Cartography, welche sich unter Einbezug landschaftlicher, räumlicher, gesellschaftlicher und ökonomischer Fragestellungen
mit Entwurfszenarien in mittelgrossen inneralpinen Städten befasst.

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Alpenstädte mittlerer Grösse

Die mittelgrosse Alpenstadt ist mit ihren funktionalen und räumlichen Besonderheiten ein urbaner Typus. Sie ist nicht auf den Tourismus und das Vorhandensein von Schnee angewiesen; sie hat eine Bevölkerung zwischen 20’000 und 50’000 Einwohnerinnen und Einwohnern; sie liegt auf dem Grund eines Gletschertals und auf einer Höhe zwischen 200 und 800 Metern über dem Meeresspiegel. Es gibt viele Beispiele dafür: in Italien Aosta (35’000 Einwohner, 600m ü. d. M.), in der Schweiz Bellinzona (18’000 Einw., 250m ü. d. M.), in Österreich Lienz (12’000 Einw., 700m ü. d. M.), in Frankreich Gap (41’000 Einw., 735m ü. d. M.), in Slowenien Kranj (37’000 Einw., 400m ü. d. M.), in Deutschland Garmisch-Partenkirchen (26’000 Einw., 708m ü. d. M.).

Was haben mittelgrosse Alpenstädte gemeinsam? Erstens liegen sie alle an einem Fluss, oder in der Nähe eines Flusses (manchmal auch eines Sees), was das Vorhandensein einer Brücke impliziert; Ingenieurarbeiten – Brücken, Böschungen, Tunnel, Dämme – spielen eine wichtige Rolle. Zweitens, die ständige Präsenz von Militärverwaltungen und Kasernen; diese sind oft leer und ihre schlussendliche Umnutzung muss berücksichtigen, dass die meisten mittelgrossen Alpenstädte eine rückläufige Bevölkerungszahl aufweisen. Drittens, das Vorhandensein eines städtischen Marktplatzes mit Brunnen und Säulengängen.

Die mittelgrossen Alpenstädte stehen im Kontrast zu den Ballungsräumen, die eine eigentliche Galaxie rund um die Alpen bilden. Typischerweise reichen die Funktionen mittelgrosser Alpenstädte von Gesundheit bis Kultur, von Bildung bis Freizeit, von Transport bis Handwerk, von Wasser- bis Energiewirtschaft, von Ganzjahrestourismus bis zu periodisch stattfindenden Kongressen.

Die meisten Städte weisen auch Mahnzeichen an die Zeit vor dem Tourismus auf, als die Alpen als Bergbau- und Abbaugebiet genutzt wurden: Granit, Basalt, Gneis, Sand, Kalk, Eisen und sogar Gold wurden abgebaut. Einige alte Industriegebiete sind erhalten geblieben, andere sind vom Vordringen der Natur vereinnahmt worden, wieder andere sind zu Touristenattraktionen geworden. Man könnte sagen, dass mittelgrosse Alpenstädte die Melancholie des Dazwischen ausströmen; sie konkurrieren an gegenüberliegenden Fronten mit einer Handvoll multifunktionaler Alpenstädte (Bozen, Innsbruck, Grenoble, Luzern, Villach) und einer Vielzahl malerischer Dörfer, die vom Tourismus abhängig sind.

Aosta
Campocologno, Tirano
Davos