Wahlfach Frühlingssemester 2017

Pairi-daeza: Topografie

Lissabon ist gleichermassen geprägt vom glanzvollen Ruhm der kolonialen Vergangenheit wie auch von der wirtschaftlichen Stagnation in den krisengeschüttelten Nullerjahren. Die Hafenstadt am Ufer des Tejo ist sowohl alt wie auch neu, beständig wie auch dynamisch, reich wie auch arm – und erfindet sich in diesem Spannungsfeld immer wieder neu. Städtebaulich manifestiert sich diese Ambivalenz in der Form eines inkonsistenten Stadtkörpers, der sich außerhalb der historischen Altstadt zu einem fragmentierten Gemisch aus dichten Blockrändern, historischen Parkanlagen, hohen Zeilenbauten, weitläufigen Brachflächen, isolierten Einfamilienhausquartiere und trennenden Infrastrukturanlagen zusammenfügt. Interessanterweise vermag die charmante Hauptstadt trotz den hohen Hügeln und tiefen Taleinschnitten kaum eine klare Beziehung zu ihrer bewegten Topografie aufzubauen. Vielmehr entwickelt sie sich zu einem urbanen Flickenteppich, in welchem die unbebauten Flusstäler und steilen Hänge von Wildnis und informellen Schrebergärten in Beschlag genommen werden. In dieser kontrastreichen Stadtlandschaft stellt sich unweigerlich die Frage nach der Rolle des öffentlichen Raumes. Hier setzt das Wahlfach an: Anhand eines isolierten, durch Hochhäuser, Gärten und Brachen geprägtes Seitental am nordöstlichen Stadtrand fragen wir nach dem Inhalt und der Form eines neuartigen Parks für Lissabon. Unter dem Leitthema ‹Topografie› befassen sich die Studierenden mit verschiedenen Typen und Qualitäten des öffentlichen Raumes und entwerfen einen metropolitanen Park für die aufstrebende Hauptstadt Portugals.

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Territorium der Stadt

Die Art und das Ausmass der Nutzung von Landschaft haben sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Einerseits wird die Ressource Landschaft heutzutage viel intensiver genutzt, wie dies die starke Zunahme von Rohstoffabbau und Materialtransporten sowie der massive Ausbau von Infrastrukturen verdeutlichen. Gleichzeitig wird die Nutzung in gewissen Gebieten auch extensiviert, wodurch Verbrachungs- und schliesslich Verwilderungsprozesse eintreten. Darüber hinaus sind Landschaften zunehmend rasanten und teilweise global wirkenden Veränderungen in Mobilität, Klima, Energie und Freizeitverhalten unterworfen. In der Summe führt dies zu einer tiefgreifenden Transformation von Landschaften, wobei der Wandel sehr uneinheitlich und ungleich erfolgt.

Die historische Koexistenz und räumliche Trennung von bis anhin in die Landschaft eingelagerten Nutzungen (z.B. Landwirtschaft, Verkehr oder Tourismus) löst sich zunehmend auf. An ihre Stelle tritt eine operationalisierte Landschaft, in die im metropolitanen Kontext vermehrt auch informelle Erholungs- und Sportnutzungen eingeschrieben sind. Es entstehen neue Formen von «Parks», die nicht mehr klar fass- und einordnungsbar sind, sondern sich temporär und räumlich diffus auf das urbane Territorium ausbreiten.

Die treibenden Kräfte hinter dieser Entwicklung sind einerseits im Ausbau der Infrastrukturnetzwerke des ÖV und andererseits in der oftmals chronischen Übernutzung innerstädtischer Freiräume zu verorten. Die Erholungssuchenden weiten als Folge ihren Aktionsradius auf die schnell erreichbaren und unmittelbar verfügbaren Freizeitlandschaften aus. Dieser Prozess erfolgt oftmals informell und resultiert in einer Überlagerung und Verflechtung von teilweise konträren Interessen.

Die Reibungen und Konflikte, die daraus entstehen, bergen dabei grosses Potential: Landschaft wird nicht mehr länger nur als ökonomische, sondern vermehrt auch als öffentliche Ressource begriffen, was eine zukünftige Debatte über die Art und Weise ihrer Nutzung und die Möglichkeit einer integralen, demokratischen Entwicklung von Landschaft als öffentliches Gut ermöglicht.

Pairi-daeza

Das Wort «Paradies» mit seinen religiösen Implikationen geht zurück auf «pairi-daeza», altpersisch für «eine Mauer, die einen Garten umschliesst». Pairi-daeza nennt sich eine Wahlfachserie, die sich mit der Aneignung von Landschaft als gemeinschaftliche Ressource in europäischen Metropolen befasst und neue Formen und Typen des öffentlichen Raums erkundet. Das Wahlfach führt anhand den Grundelementen Umgrenzung, Schwelle, Wasser, Vegetation, Topographie, Choreographie und Metapher in das landschaftsarchitektonische Entwerfen auf unterschiedlichen Massstäben ein. Die Architekturstudierenden entwickeln ein Projekt aus Wahrnehmungen des Orts, Kenntnissen der landschaftsarchitektonischen Typologie und Vorstellungen zum öffentlichen Raum. Sie machen sich mit GIS als Analysetool, Modellbau als Entwurfsmethode und landschaftsarchitektonischer Plandarstellung vertraut. Der Entwurfsprozess wird von Workshops, Vorlesungen, Exkursionen, Kritiken sowie einem Workbook begleitet.

Miniatur aus dem Halname, Herat, 1604