Geomorphic Agent
Der Mensch ist ein ‹Geomorphic Agent›. Als bedeutendster Faktor in den formbildenden Prozessen der Erde bewegen wir heutzutage weit mehr Material als sämtliche natürlichen geologischen Prozesse zusammen. Das Abbauen, Transportieren und Deponieren von Roh- und Abfallstoffen hat im 21. Jahrhundert beispiellose Dimensionen erreicht, die sämtliche bisherigen Maßstäbe sprengen. Kiese, Sande und Erden – von Menschenhand in gigantischen Mengen bewegt – stellen gegenwärtig die größten Materialflüsse der Erde dar. Alleine in der Schweiz erzeugt jede Person unwissentlich rund 8 Tonnen Kies- und Sandabbau sowie 7 Tonnen Aushub und Bauschutt pro Jahr, was zusammen ungefähr dem Volumen eines vollen Betonmischer-Lastwagens entspricht. Die damit verbundenen Umwälzungsprozesse basieren auf einem globalen Netzwerk von Verkehrs-, Energie- und Sozialinfrastrukturen und stehen sinnbildlich für die fortschreitende Urbanisierung der Landschaft. Dabei stellt der weltweit exponentiell steigende Materialfluss, -kreislauf und -konsum nebst wirtschaftlichen, räumlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen auch grundsätzlich unser Verständnis von und Umgang mit Landschaft in Frage.
Ziel der Forschungsassistenz war es, die Materialökologie im Allgemeinen und die anthropogenen Erdbewegungen im Spezifischen als zentralen Bestandteil von Urbanisierungsprozessen zu definieren und die damit verbundene absichtliche und unabsichtliche Produktion von Landschaft durch Rohstoffgewinnung, -transport und -entsorgung in den Fokus des städtischen Diskurses und der landschaftsarchitektonischen Lehre an der ETH Zürich zu rücken. Hierzu wurden sämtliche Statistiken zum Thema Rohstoffkonsum und Materialflüssen in der Schweiz ausgewertet, zusammengetragen und grafisch in Form von Karten und Diagrammen dargestellt, um die unterschiedlichen Dimensionen, Geographien und Prozesse zu visualisieren.
Dabei war einerseits das Ziel, die Problematik umfassend und vielschichtig darzustellen sowie eine handfeste Grundlage für landschaftsgestalterische Diskussionen, weiterführende Forschung und aktuelle Lehre zu schaffen. Andererseits sollte eine klare Position zum Thema entwickelt werden, welche die wirtschaftlichen, gestalterischen, ökologischen und sozialen Potentiale hervorhebt und neue Ansätze im Umgang mit Abbau- und Aufbaulandschaften, Aushub und anderen mineralischen Abfällen aufzeigt. Dabei standen unter Anderem folgende Fragen im Zentrum: Was sind die räumlichen Langzeitfolgen und Zukunftsperspektiven dieser zunehmenden Erdbewegungen? Wie lässt sich das überwiegend statische und protektionistische Verständnis von Landschaft, welches durch Politik und Gesellschaft getragen wird, mit den tiefgreifenden Umwälzungen von Boden vereinbaren? Wie können neue programmatische und gestalterische Ansätze adäquat mit den dynamischen Landschaftsprozessen umgehen?
Projektteam: Günther Vogt, Daia Stutz
Projektdauer: Januar bis Dezember 2014
Bildlegende: Aushubdeponie des Ceneri-Basistunnel in Sigirino.
© AlpTransit Gotthard AG