Lehrangebot: Entwurf

Alpenstädte mittlerer Grösse

Die mittelgrosse Alpenstadt ist mit ihren funktionalen und räumlichen Besonderheiten ein urbaner Typus. Sie ist nicht auf den Tourismus und das Vorhandensein von Schnee angewiesen; sie hat eine Bevölkerung zwischen 20’000 und 50’000 Einwohnerinnen und Einwohnern; sie liegt auf dem Grund eines Gletschertals und auf einer Höhe zwischen 200 und 800 Metern über dem Meeresspiegel. Es gibt viele Beispiele dafür: in Italien Aosta (35’000 Einwohner, 600m ü. d. M.), in der Schweiz Bellinzona (18’000 Einw., 250m ü. d. M.), in Österreich Lienz (12’000 Einw., 700m ü. d. M.), in Frankreich Gap (41’000 Einw., 735m ü. d. M.), in Slowenien Kranj (37’000 Einw., 400m ü. d. M.), in Deutschland Garmisch-Partenkirchen (26’000 Einw., 708m ü. d. M.).

Was haben mittelgrosse Alpenstädte gemeinsam? Erstens liegen sie alle an einem Fluss, oder in der Nähe eines Flusses (manchmal auch eines Sees), was das Vorhandensein einer Brücke impliziert; Ingenieurarbeiten – Brücken, Böschungen, Tunnel, Dämme – spielen eine wichtige Rolle. Zweitens, die ständige Präsenz von Militärverwaltungen und Kasernen; diese sind oft leer und ihre schlussendliche Umnutzung muss berücksichtigen, dass die meisten mittelgrossen Alpenstädte eine rückläufige Bevölkerungszahl aufweisen. Drittens, das Vorhandensein eines städtischen Marktplatzes mit Brunnen und Säulengängen.

Die mittelgrossen Alpenstädte stehen im Kontrast zu den Ballungsräumen, die eine eigentliche Galaxie rund um die Alpen bilden. Typischerweise reichen die Funktionen mittelgrosser Alpenstädte von Gesundheit bis Kultur, von Bildung bis Freizeit, von Transport bis Handwerk, von Wasser- bis Energiewirtschaft, von Ganzjahrestourismus bis zu periodisch stattfindenden Kongressen.

Die meisten Städte weisen auch Mahnzeichen an die Zeit vor dem Tourismus auf, als die Alpen als Bergbau- und Abbaugebiet genutzt wurden: Granit, Basalt, Gneis, Sand, Kalk, Eisen und sogar Gold wurden abgebaut. Einige alte Industriegebiete sind erhalten geblieben, andere sind vom Vordringen der Natur vereinnahmt worden, wieder andere sind zu Touristenattraktionen geworden. Man könnte sagen, dass mittelgrosse Alpenstädte die Melancholie des Dazwischen ausströmen; sie konkurrieren an gegenüberliegenden Fronten mit einer Handvoll multifunktionaler Alpenstädte (Bozen, Innsbruck, Grenoble, Luzern, Villach) und einer Vielzahl malerischer Dörfer, die vom Tourismus abhängig sind.

The Alps as Common Ground

Durch den Ausbau der Erschliessungsstruktur werden die Alpen immer stärker in die urbanen Netzwerke der umliegenden Metropolen eingebunden. Dies ermöglicht einerseits die Nutzung der Alpen als metropolitane Parklandschaft und andererseits als attraktives Siedlungsgebiet, was zu einer verstärkten Ausbildung der sich heute schon abzeichnenden räumlichen Gegensätze führt: Die Nutzungsintensivierung der gut erreichbaren Alpengebiete steht dabei in zunehmendem Kontrast zur extensiveren Nutzung bis hin zur Verbrachung der übrigen alpinen Regionen. Setzt sich dieser Trend fort, wird dies im Extremfall zu einem Verlust der Alpen als eigenständigem Kultur-, Lebens- und Wirtschaftsraum führen und die Alpenrandgebiete zu reinen Ergänzungsräumen der ausseralpinen Metropolen werden lassen.

Betrachtet man die Alpen als Common Ground der umliegenden Metropolitanräume ergibt sich eine alternative Lesart respektive eröffnet sich ein Potential bezüglich der zukünftigen Entwicklung der Alpen. Unter der Annahme eines verstärkten Siedlungswachstums entlang des Alpenrandes und dessen urbaner Verdichtung würden die Alpen nicht mehr nur zu partiell zugeordneten metropolitanen Parklandschaften, sondern zur zentralen Landschaftsfigur. Liest man die Alpen als Common Ground und somit als eine von verschiedenen Nutzern beanspruchte Ressource, könnte deren Zukunft in einem gemeinschaftlich neu ausgehandelten, nachhaltigen Nutzungsverhältnis bestehen, das traditionelle landwirtschaftliche (endogene) Nutzungen mit ausseralpinen, urbanen (exogenen sowie ubiquitären) Nutzungen kombiniert und überlagert und so letztlich einen verantwortungsvollen Umgang mit der Ressource der alpinen Landschaft ermöglicht. (vgl. Werner Bätzing, «Die Alpen. Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft», München: Verlag C.H. Beck, 2005, S. 335.) So könnte eine gemeinschaftliche, zentrale Landschaft der umliegenden Metropolitanräume entstehen, die nicht auf traditionellen Bildern und Vorstellungen beharrt, sondern neue Bilder und Bedeutungen schafft und vor allem Strategien für den Umgang mit potentialarmen Räumen entwickeln muss.